Corona im Entenland

Die Corona-Krise verstehen
Eine Geschichte für die Kinder der Kita Sternengarten
von Julia Schlenker

Es war eigentlich ein ganz normaler Tag im Entenland. Und doch war irgendetwas anders.
Wie jeden Morgen krähte der Hahn Tilli auf dem Bauernhof nebenan, um alle Kinder und ihre Eltern aufzuwecken, damit sie den neuen Tag begrüßen. Auch die zwölf kleinen Entenkinder wurden davon wach und öffneten langsam ihre Augen. Die liebe, liebe Sonne schien bereits in das Entenhaus hinein und kitzelte die Entenkinder an ihren Nasen. Es dauerte nicht lange, da ertönte ein aufgeregtes „Nak nak nak“ durch die Nester im Entenhaus, so dass auch die Enten-Mama und der Enten-Papa wach wurden. Wie jeden Morgen rannten die Entenkinder direkt in den Teich neben dem Entenhaus, um ein Bad zu nehmen und sich ihre Federn zu waschen. Die Enten-Mama lief am Ufer umher, um ein paar Würmer zum Frühstück für ihre Kinder zu suchen. Nachdem sich alle gewaschen und die Federn zurecht gezupft hatten, setzte die Entenfamilie sich an das Ufer des Teiches, um gemeinsam zu frühstücken: „Viele kleine Fische, schwimmen jetzt zu Tische. Reichen sich die Flossen, dann wird kurz beschlossen, jetzt nicht mehr zu blubbern, stattdessen jetzt zu futtern. Piep, piep, piep, guten Appetit!“ Genüsslich aßen alle ihre Würmer und besprachen aufgeregt ihre Pläne für den heutigen Tag im Entenland.

Nach dem Frühstück brachten die Enten-Mama und der Enten-Papa ihre zwölf Entenkinder an den Teich, gaben ihnen einen Abschiedskuss und wünschten allen einen schönen Tag in der Kita. Eines der Entenkinder konnte sich einfach nicht von seinem Enten-Papa lösen und klammerte sich fest an seine Federn. „Du hast heute bestimmt einen ganz tollen Tag in der Kita. Hier kannst du alle deine Freunde sehen und ihr werdet ganz viel Spaß zusammen haben. Ich werde jetzt ein bisschen arbeiten und wenn du heute Mittag wieder nach Hause kommst, dann sehen wir uns wieder und dann machen wir etwas Tolles zusammen. Einverstanden?“ Das Entenkind lächelte wieder und hüpfte in den Teich zu seinen Geschwistern. Die zwölf Entenkinder winkten ihren Eltern noch einmal zu und machten sich dann über den Teich auf den Weg in die Kita.

Unterwegs trafen sie ihre Freunde die Fische, die unter ihnen im Teich umher schwammen. Jeden Tag bewunderten die Entenkinder ihre tollen Farben im klaren Wasser: rote, gelbe, grüne, blaue und orangene Fische tanzten unter ihnen herum und die Entenkinder hatten so viel Spaß daran, diese zu zählen und mit ihnen um die Wette zu schwimmen. Wie jeden Morgen sprang an einer Stelle des Ufers ihr Freund Kroko in den Teich. Kroko war ein Krokodil, das vor einem Jahr mit seiner Familie aus Afrika in das Entenland gezogen war. Am Anfang hatten die Entenkinder ein bisschen Angst vor ihm gehabt, weil er so ein großes Maul hatte und wenn er es aufsperrte, dann blitzen seine riesigen, weißen Zähne hervor. Das war den Entenkindern zu Beginn nicht geheuer, weil sie zuvor noch niemanden mit so großen Zähnen gesehen hatten. Irgendwie sah Kroko ganz anders aus, als alle anderen Tiere im Entenland. In der Kita saß Kroko daher häufig ganz allein und traurig in einer Ecke, weil keiner mit ihm spielen wollte. Eines Tages rollte zufällig der Ball vom Fußballspiel der Enten zu Kroko. Er war zunächst sehr erstaunt und auch die Entenkinder wussten nicht, wie sie jetzt reagieren sollten. Doch dann stupste Kroko den Ball mit seinem großen Maul einfach an und rollte ihn so zurück zu den Entenkindern. An diesem Tag wurden sie Freunde und auch vor dem großen Maul des Krokodils hatten die Entenkinder keine Angst mehr. Im Gegenteil – konnte er damit den Ball doch noch viel fester kicken, als die Enten das mit ihren kleinen Flügeln jemals schafften.

Kroko schwamm nun also zu den Entenkindern, begrüßte sie freudig und zusammen machten sie sich weiter auf den Weg in die Kita. Der Himmel über ihnen leuchtete in seinem schönsten Blau und die gelbe Sonne schien den Freunden ins Gesicht und wärmte sie dabei. Plötzlich kam ein Schwarm Vögel angeflogen, welche aufgeregt durcheinander zwitscherten: „Corona, Corona, Corona“. Corona? Was war das denn? Die Entenkinder und auch Kroko sahen sich verwundert an. Komisch, was wollten ihnen die Vögel nur damit sagen? An der Kita angekommen, sahen die Freunde schon von weitem, dass sich alle Kinder, Erzieher und Erzieherinnen auf dem Hof vor der Kita versammelt hatten. „Ihr habt auf dem Weg hier her sicherlich schon die Vögel zwitschern gehört. Leider könnt ihr erst mal nicht mehr in die Kita kommen – wir machen Corona-Ferien“, erklärte die Erzieherin Frau Igel. Schon wieder Corona? Wer oder was war das denn nun? „Macht euch schnell wieder auf den Weg nach Hause. Eure Eltern warten dort schon auf euch und werden euch alles erklären“, ergänzte der Erzieher Herr Maulwurf. „Habt keine Angst, die Kita macht nur Ferien und wir werden uns alle ganz bald wiedersehen!“ Mit diesen Worten verabschiedeten sich Frau Igel und Herr Maulwurf und alle Kinder des Entenlandes machten sich wieder auf den Weg nach Hause zu ihren Eltern.

Als die zwölf Entenkinder wieder zuhause ankamen, warteten Enten-Mama und Enten-Papa bereits am Ufer des Teiches auf sie. Sie schlossen ihre Kinder in die Arme und freuten sich, dass die ganze Familie wieder zusammen war. Beim Abendessen erklärten die Enten-Eltern dann endlich was heute passiert war: „Auf der ganzen Welt ist eine neue Krankheit ausgebrochen, also auch im Entenland. Die Krankheit kommt von einem Virus und der heißt Corona. Der Virus ist winzig klein, so dass ihr ihn gar nicht sehen könnt aber er ist trotzdem da und klebt sich zum Beispiel an euren Händen fest. Ihr sollt euch ja immer die Hände mit Seife waschen, aber weil jetzt Corona da ist, müsst ihr dabei noch gründlicher sein. Corona macht, dass ihr Fieber bekommt und husten und niesen müsst. Der Virus kann ganz weit springen und wenn ihr hustet, dann springt er von einem Entenkind auf ein anderes Entenkind und so kann euch Corona alle krank machen, so dass ihr im Bett bleiben müsst. Bei ganz vielen Bewohnern des Entenlandes ist das schon passiert und damit Corona nicht auf noch mehr Kinder und Erwachsene springen kann, müssen wir jetzt erst mal zu Hause bleiben. Darum macht die Kita jetzt Corona-Ferien. Aber ihr müsst gar keine Angst haben. Wenn wir uns immer gründlich die Hände waschen und in nächster Zeit ein bisschen aufpassen, dann wird uns Corona nicht finden. Und wenn doch, dann bleiben wir einfach im Bett bis wir wieder gesund sind. Das nennt man Quarantäne. Ihr seid starke Entenkinder, so dass ihr gegen diesen Virus kämpfen könnt. Oma und Opa sind allerdings schon viel älter als ihr und daher auch nicht mehr so stark. Wenn Corona auf sie springt, dann müssen sie sehr viel mehr husten als ihr und auch sehr viel länger im Bett bleiben. Für Oma und Opa ist Corona somit gefährlicher. Daher können im Moment alle Kinder ihre Großeltern nicht mehr besuchen. Aber wir können jeden Tag mit ihnen telefonieren, ihr könnt ihnen Bilder malen und schöne Sachen basteln oder wir schreiben ihnen gemeinsam einen Brief und schicken ihn mit der Post. Darüber würden sie sich sicherlich sehr freuen!“ Das klang alles ganz schön aufregend, auch für Mama-Ente und Papa-Ente. Als die Entenfamilie endlich in ihren Betten lag, dachten sie alle noch lange über diesen seltsamen Tag und dieses Corona nach, bis sie endlich erschöpft einschliefen.

Die nächsten Tage wachten die Entenkinder wie immer durch das „Kickericki“ von Tilli auf. Papa-Ente hatte gesagt, dass in nächster Zeit alles anders sein würde, was den Entenkindern irgendwie auch erst mal ein bisschen Angst gemacht hatte. Aber in Wirklichkeit gab es so Vieles, was eigentlich wie immer war: der Hahn weckte sie morgens auf, sie lagen zusammen in ihren gemütlichen Betten in ihrem Zuhause im Entenland, Mama und Papa-Ente bereiteten das Frühstück zu, während sich die Entenkinder im Teich waschen gingen und anschließend den ganzen Tag zusammen spielten. Sie aßen jetzt nicht mehr in der Kita zu Mittag, aber dafür kochten jetzt jeden Tag Mama oder Papa-Ente und ihr Essen schmeckte sowieso viel besser.

Was sich wirklich verändert hatte war, dass Mama und Papa-Ente jetzt fast jeden Tag zu Hause waren und nur noch selten zur Arbeit gingen. Auch die Arbeit machte Corona-Ferien. Manchmal musste Mama-Ente ein bisschen von zu Hause aus arbeiten, aber das war gar nicht schlimm, weil Papa-Ente ja auch noch da war und wahnsinnig gut und gern Geschichten erzählte. Und manchmal schwamm Papa-Ente für ein paar Stunden über den Teich in sein Büro und Mama-Ente zeigte den Entenkindern in der Zwischenzeit, wie man die Würmer für das Frühstück einfing. Außerdem waren sie ja zwölf Geschwister, so dass immer einem Entenkind etwas Spannendes zum Spielen oder Basteln einfiel. Irgendwie war es auch sehr schön, dass sie nun endlich mal ganz viel Zeit zu Hause hatten. So konnten die Entenkinder mit allen ihren Spielsachen spielen, entdeckten täglich neue Orte, Tiere und ihre Spuren rund um den Ententeich, bauten sich geheime Höhlen, machten Schatzsuchen im Entenhaus, malten viele bunte Bilder, mit denen sie ihre Zimmer schmückten und vieles, vieles mehr. Die Entenkinder wurden so kreativ, dass ihnen die Ideen nicht ausgingen. Außerdem freuten sie sich so sehr darüber, dass Mama und Papa-Ente jetzt ganz viel Zeit für sie hatten und ebenfalls zu Hause waren. Manchmal machten sie gemeinsam einen Ausflug, schwammen über den Teich und erkundeten das Ufer auf der anderen Seite. Dort waren sie dann ganz alleine und hatten viel Platz, um Würmer zu suchen und am Ufer zu picknicken. Oma und Opa- Ente schickten einmal in der Woche einen Brief an die zwölf Entenkinder und manchmal waren auch kleine Geschenke dabei. Auch die Entenkinder stellten fest, dass es ihnen so viel Freude bereitete, Bilder und Gebasteltes an Oma und Opa und auch an ihre Freunde zu verschicken. Wenn der Postbote ans Ufer kam, rannten die Entenkinder ganz aufgeregt aus dem Entenhaus und öffneten voller Freude die Briefe und Pakete der neugewonnenen Brieffreundschaften.

Manchmal nahmen die Enten-Eltern ihre Kinder mit zum Einkaufen in den Supermarkt. Dafür mussten sie durch den Wald und über eine große Wiese laufen. Normalerweise waren hier immer sehr viele Bewohner des Entenlandes unterwegs. Doch seit dem Corona da war, war es überall sehr ruhig geworden und alle Bewohner blieben zu Hause. Dafür sah der Waldboden aber sehr viel grüner aus und auf der Wiese blühten Blumen in den verschiedensten Farben. Die Luft duftete und die Vögel zwitscherten den ganzen Tag so laut, als wollten sie ihr Glück mit der ganzen Welt teilen. Im Supermarkt waren auch nur wenige Entenland-Bewohner zu sehen und wenn man doch mal einem begegnete, dann trug er oder sie eine komische Maske im Gesicht, so dass man Mund und Nase nicht sehen konnte. Auch Mama und Papa-Ente trugen jetzt immer häufiger so eine Maske und sahen damit irgendwie lustig aus. „So kann Corona nicht in deinen Mund springen, stimmt‘s Mama?“ fragte eines der Entenkinder. „Ja, wir tragen jetzt alle eine Maske, weil Corona da nicht durch kommt und wir somit nicht krank werden können“, antwortete Mama-Ente. Auch die Enten-Kinder bekamen alle eine Maske. Sie malten mit bunten Farben lustige Gesichter darauf und freuten sich, wenn sie auch bei anderen Kindern und Erwachsenen schöne Masken im Gesicht entdeckten. So machten ihnen die verdeckten Gesichter gar keine Angst mehr. Irgendwie war Corona gar nicht mehr so schlimm!

Eine Sache fanden die Entenkinder aber tatsächlich ziemlich blöd. Sie vermissten ihre Freunde, Erzieher und Erzieherinnen. Die Kita war nun schon seit mehreren Wochen in den Corona-Ferien und auch alle ihre Freunde blieben Zuhause, so dass sie sich nicht sehen konnten. Normalerweise trafen sich die Entenkinder jeden Tag mit Kroko auf dem Teich. Dann sprangen die Enten auf seinen breiten Rücken und er schwamm mit ihnen von Ufer zu Ufer, wie mit einem Boot. „Wir wissen gar nicht wie es Kroko geht“, sagte eines Morgens ein Entenkind und blickte mit Tränen in den Augen zu Papa-Ente. „Ich vermisse Kroko und ich möchte ihn endlich wieder sehen!“ Nach dem Mittagessen hatte Papa-Ente eine Überraschung für die Entenkinder. „Ich habe mit den Eltern von Kroko gesprochen. Wir treffen uns heute alle zusammen in der Mitte des Teiches. Krokos Familie kommt mit dem Boot und auch ich habe ein Boot für uns besorgt. So können wir uns sehen und trotzdem genug Abstand zueinander halten, so dass Corona nicht zu uns springen kann." Die Entenkinder freuten sich so sehr und konnten es kaum noch erwarten, ihren Freund Kroko endlich wiederzusehen. Das war ein lustiges Geschrei, als sie sich endlich alle wieder in der Mitte des Teiches trafen. Alle wollten sofort von den aufregenden Dingen erzählen, die sie in den letzten Wochen erlebt hatten. Kroko hatte sogar eine selbstgebaute Murmelbahn mitgebracht, die er zusammen mit seinen Eltern in den letzten Wochen gebastelt hatte. Er wollte sie unbedingt seinen Freunden präsentieren. Kroko erzählte auch, dass er mit seiner Oma und seinen Freunden in Afrika telefoniert hatte. Auch dort war Corona und die Kita war in den Ferien, so dass alle zu Hause bleiben mussten. Offensichtlich ging es allen Kindern und Erwachsenen auf der ganzen Welt gleich. Die Entenfamilie hatte einen wunderschönen Tag mit Kroko und seinen Eltern auf dem Teich und auch wenn sie sich nicht in den Arm nehmen konnten, so konnten sie wenigstens miteinander reden, lachen und sehen, dass es allen gut ging.

„Und wann dürfen wir wieder in die Kita, Papa?“ fragte eines Morgens ein Entenkind. „Das dauert noch eine Weile. Ihr müsst euch noch ein bisschen gedulden. Aber ich verspreche euch, dass die Kita irgendwann wieder öffnen wird und ihr zurückgehen dürft. Weißt du was? Ich male euch hier einen Kalender in den Sand, so dass ihr jeden Tag abstreichen könnt, an dem ihr zu Hause bleiben müsst. Und wenn ihr alle Tage durchgestrichen habt, dann könnt ihr euch wieder auf die Kita freuen und schon mal eure Rucksäcke packen. Ihr werdet sehen, die Zeit wird ganz schnell rum gehen und bis dahin werden wir noch viele schöne Abenteuer zusammen erleben!“ erklärte Papa-Ente, öffnete seine Flügel und kuschelte eine Runde mit seinen zwölf kleinen Entenkindern. Auch Mama-Ente kam dazu und schon waren alle wieder sehr, sehr glücklich!

 

Ich habe diese Geschichte überwiegend für die Kinder der Kita Sternengarten und hauptsächlich für meine Krippen-Gruppe, die Sonnenkinder geschrieben. Aber ich möchte diese Geschichte gerne mit allen teilen, die Kinder im Kita-Alter haben und würde mich freuen, wenn jede/r LeserIn sie ebenfalls mit anderen teilt. Ich glaube, dass Kinder sehr viel mehr mitbekommen, als wir denken und gerade in dieser Zeit sehr viel verarbeiten müssen. Wir Erwachsenen suchen größtenteils nach rationalen Erklärungen für die momentane Situation, womit die Kinder jedoch nur wenig anfangen können. Mit dieser Geschichte hoffe ich, dass ich den Kindern ein wenig die Angst und Sorge über die veränderte Situation nehmen kann, um sie positiv in die Zukunft blicken zu lassen. Denn diese Geschichte aus dem Entenland geht positiv aus und ich bin mir ganz sicher, dass sich auch die Kinder der Kita Sternengarten irgendwann wieder glücklich umarmen werden!

 

Viel Spaß beim Lesen und Teilen und bleibt gesund!

Eure Julia

April 2020

Fotos von Pixabay